Automatisiertes Fahren bis 130 km/h
Mit einer deutlichen Erweiterung des erlaubten Anwendungsbereichs ebnen Politik und Wirtschaft den Weg für das automatisierte Fahren auf autobahnähnlichen Straßen für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge.
Im Juni 2022 wurde auf der 187. Sitzung der Economic Commission for Europe (ECE) eine Erweiterung der UN Regulierung No. 157 „Automated Lane Keeping System (ALKS)", deutsch Automatisiertes Spurhaltesystem, beschlossen. Diese betrifft die Einsatzmöglichkeit des automatisierten Fahrmodus auf Straßen, die baulich und bezogen auf die Verkehrsregeln mit einer deutschen Autobahn vergleichbar sind. Ab Januar 2023 soll die Aktivierung des automatisierten Fahrsystems bis zu einer maximalen Geschwindigkeit von 130 km/h für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge (Klassen M und N) möglich sein. Außerdem wird erstmals in einer Regulierung auch ein automatisierter Spurwechsel für die Fahrzeugklassen M1 und N1 zugelassen.
Durch diese Änderung wird die Einsatzmöglichkeit des ALKS und somit der Nutzen für Fahrer und Fahrerinnen erheblich gesteigert. War in Deutschland ein solches System zur automatisierten Führung des Fahrzeugs in Längs- und Querrichtung bisher nur in Stausituationen auf Autobahnen oder Kraftfahrtstraßen bis maximal 60 km/h und ohne Spurwechsel aktivierbar, kann es nun aus Sicht der Regulierung während der ganzen Fahrt auf einer solchen Straße unter geeigneten Bedingungen genutzt werden. Während das automatisierte Fahrsystem die Fahraufgabe übernimmt, werden Fahrer:innen durch das „Driver Availability Recognition System“ überwacht. Fahrer:innen dürfen nicht für eine längere Zeit die Augen schließen, den Gurt ablegen, eine Liegeposition einnehmen oder gar den Sitz verlassen. Allerdings dürften sie ihre Aufmerksamkeit von der Fahraufgabe abwenden, also z.B. kurz etwas lesen oder tippen, solange sie nach Aufforderung des Systems die Kontrolle innerhalb weniger Sekunden wieder übernehmen könnten. Das System muss Fahrer:innen auffordern, die Kontrolle zu übernehmen, wenn es an seine technischen Grenzen stößt. Diese können nicht nur richtlinienbedingt beim Abfahren von Autobahn oder Kraftfahrtstraße, sondern auch in bestimmten Verkehrssituationen, in Baustellen, in Tunneln oder bei schlechten Wetterbedingungen erreicht werden. Somit wird eine Übernahme der Fahraufgabe durch Fahrer:innen regelmäßig erforderlich werden. Falls Fahrer:innen die Fahraufgabe nicht wieder übernimmt, versucht das ALKS das Fahrzeug mit dem minimalsten Risiko anzuhalten und Hilfe zu alarmieren.
Auch wenn das automatisierte Fahrsystem laut den Vorgaben der Ethikkommission die Verkehrssicherheit im Vergleich zum menschlichen Fahrer:innen erhöhen soll, können Unfälle oder Gefahrensituationen nicht ausgeschlossen werden. Aus diesem Grund ist es erforderlich, Daten zum Betrieb des ALKS in einem so genannten DSSAD (Data Storage System for Automated Driving) zu speichern. Nur so kann nachgewiesen werden, ob das System oder menschliche Fahrer:innen zu einer bestimmten Zeit in der Verantwortung der Fahraufgabe waren. Diese Klärung ist nicht nur für Behörden zur Strafverfolgung erforderlich, sondern auch für die Versicherungen. Die im Straßenverkehrsgesetz geforderte Halterhaftung gewährleistet in Kombination mit der Kfz-Haftpflicht-Versicherung den Opferschutz, wenn Dritte zu Schaden kommen. Grundsätzlich haftet aber auch der Fahrzeughersteller im Fall eines Unfalls währenddessen der automatisierte Fahrmodus aktiviert war. In der Regel wir der Kfz-Haftpflichtversicherer zunächst für den Haftpflichtschaden aufkommen, gegebenenfalls jedoch im Nachgang beim Fahrzeughersteller Regress nehmen.
Ob die Erhöhung der maximalen Geschwindigkeit des ALKS auf 130 km/h und die Zulassung eines automatisierten Spurwechsels einen Anstieg des Haftungsrisikos der Versicherungen bewirken, kann noch nicht gesagt werden. Bis jetzt sind noch kaum Fahrzeuge mit einem ALKS in Deutschland zugelassen. Aufgrund der erweiterten Regulierung ergeben sich aber ab Januar 2023 für die Systeme umfangreichere Nutzungsmöglichkeiten und sie werden für Fahrzeugkäufer:innen interessanter. Eine schnellere Verbreitung ist daher für die kommenden Jahre zu erwarten.
(Quelle: AZT)