Drei Fragen an Carsten Reinkemeyer vom AZT
Wir haben Carsten Reinkemeyer, Experte im AZT (Allianz Zentrum für Technik) zum speziellen Aufwand und den Anforderungen an die Betriebsabläufe bei der Reparatur von E-Fahrzeugen befragt.
Herr Reinkemeyer, gibt es spezielle Anforderungen, die unsere Lack-&Karosseriebetriebe beachten müssen, wenn sie E-Fahrzeuge reparieren?
Grundsätzlich unterscheiden sich Arbeiten an HV-Fahrzeugen nicht von denen an konventionellen Fahrzeugen. Erst wenn die Arbeiten die HV-Anlage betreffen, weil z.B. Komponenten verlagert werden müssen oder Arbeiten an der Anlage selbst – auch dem Klima-Kompressor – anfallen, müssen besondere Maßnahmen ergriffen werden. Insbesondere muss dann eine Freischaltung der HV-Anlage erfolgen. Je nach Tiefe der Tätigkeit sind technische und organisatorische Schutzmaßnahmen zu treffen, dazu gehört regelmäßig die Qualifikation des Personals. In Deutschland gelten die Regelungen der deutschen Gesetzlichen Unfallversicherer DGUV als Stand der Technik für den Umgang mit HV-Fahrzeugen. Insbesondere die Regel DGUV 209-093 beschreibt Qualifikationsniveaus, die von der sensibilisierten Person (Stufe S) bis zur Fachkunde für das Arbeiten unter Spannung (Stufe 3S) reichen. Je nach Umfang der Arbeiten sind diese Qualifikationen vorzuhalten.
Für größere Betriebe empfiehlt es sich, eine verantwortliche Fachkraft für HV-Kraftfahrzeuge zu etablieren, die analog einer Arbeitssicherheitsfachkraft sichere Abläufe und Rahmenbedingungen für den Betrieb definiert.
Dazu kommen gegebenenfalls. technische Schutzmaßnahmen wie eine persönliche Schutzausstattung und geeignetes Mess-Equipment, die beim Freischalten der HV-Anlage oder bei den seltenen Arbeiten unter Spannung zu verwenden sind. Darüber hinaus existieren noch herstellerspezifische Vorgaben, die z.B. auch die Nutzung eines bestimmten Diagnosetools für die Freischaltung umfassen können. Schließlich müssen die Werkzeuge, Vorrichtungen und Arbeitsräume je nach Tiefe der Reparatur bestimmten Anforderungen genügen. Es ist z.B. nicht möglich, die 650 kg schwere HV-Batterie eines Porsche Taycan fachgerecht auszubauen, wenn nicht die richtigen Hilfsmittel zur Verfügung stehen.
Mit welchem speziellen Aufwand, vor allem im Bereich Schulung, müssen Betriebe dabei rechnen und wie groß sind die Anforderungen bei den Reparatur-Techniken, die zum Einsatz kommen müssen?
Die Qualifikation der Stufe S ist im Prinzip eine Einweisung in die Bedienung des Fahrzeugs und soll verhindern, dass Fehlbedienungen zu Lasten der HV-Anlage vorkommen. Für allgemeine Arbeiten an HV-Fahrzeugen ist eine fachkundig unterwiesene Person FuP Stufe 1S notwendig, diese Qualifikation erfordert ein 1-tägiges Seminar, das der TÜV oder die Berufsgenossenschaften anbieten. Mechatroniker, die seit 2012 ausgebildet wurden, haben diese Qualifikation bereits. Für Freischaltungen und Arbeiten an der HV-Anlage bedarf es der Fachkundige Person für HV-Systeme Stufe 2S, was eine mindestens zweitägige Weiterbildung erfordert, die sich je nach Vorkenntnis auch verlängern kann. Die höchste Qualifikation der Stufe 3S baut auf der Stufe 2S auf und wird oft individuell auf die Vorbildung angepasst. Diese Ausbildung berechtigt zum Arbeiten an Anlagen, die nicht freigeschaltet sind, landläufig „Arbeiten unter Spannung“. Für die FuP ist eine jährlich wiederkehrende Unterweisung im Umfang einer Stunde vorgeschrieben, die von der 2S-Kraft des Betriebes durchgeführt werden kann.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage: Im Lack- und Karosseriebereich gibt es keine wesentlichen Unterschiede zum konventionellen Fahrzeug. Mit Ausnahme des BMW i3 hat sich der konventionelle Karosseriebau mit vergleichbaren Materialien bei der Elektromobilität erhalten. Auch das Heizen der Lackierkabine hat nicht den befürchteten Effekt einer Überhitzung der HV-Batterie, wie Studien des Allianz Zentrum für Technik AZT eindeutig gezeigt haben. Und die oft diskutierten Großgussteile sind nur hinsichtlich der Dimensionen etwas Neues.
Dagegen sind die Arbeiten an der HV-Anlage stark von den hersteller- und modellspezifischen Vorgaben abhängig. Daneben können die Hersteller besondere Voraussetzungen und Werkzeuge fordern, wie es z.B. bei den Tesla-
approved Bodyshops der Fall ist. Es gibt allerdings keine standardisierten Freischaltverfahren, was nach den Erfahrungen des AZT auch im Sinne der Prozess-Sicherheit und des Unfallschutzes durch die Hersteller dringend zu vereinheitlichen wäre. Zudem ist die Notwendigkeit proprietärer Diagnosegeräte für eine Freischaltung ein mögliches Hemmnis für markenfremde Betriebe. Generell ist der Markt für freie Werkstätten derzeit scheinbar noch schwierig, wie die AZT Unfallforschung feststellt: Ein erheblich höherer Anteil der Kollisionsschäden bei BEV wird derzeit in Markenwerkstätten repariert, als bei den konventionellen Fahrzeugen. Dies wird auf das im Durchschnitt geringe Fahrzeugalter zurückgeführt. Das bedeutet aber auch, dass die freien Werkstätten die notwendige Weiterentwicklung parallel zur alternden Population voranbringen müssen, wenn sie im bisherigen Umfang am Markt teilhaben wollen.
Auf welche Veränderungen bei den Betriebsabläufen müssen sich die Betriebe einstellen?
Die AZT Unfallforschung hat in einer Studie festgestellt, dass sich das Unfallgeschehen bei HV-Fahrzeugen wenig von konventionellen Fahrzeugen unterscheidet und zu einem großen Anteil Park- und Manövrierschäden vorliegen. Damit ist die Mehrheit der Unfallschäden auf die periphären Bauteile beschränkt. Die HV-Anlage wird nur dann einbezogen, wenn die Intrusionen sehr hoch sind, also bei sehr schweren Unfällen, oder wenn ungünstig verbaute Ladeports betroffen sind. Daher ist in den meisten Fällen kein wesentlich veränderter Ablauf der Reparatur zu erwarten. Die Analyse der Kollisionsschäden hat auch gezeigt, dass in weniger als 30 Prozent der untersuchten Schäden eine Freischaltung explizit durchgeführt wurde.
Tatsächliche Veränderungen werden bei schwer verunfallten oder brandbelasteten HV-Fahrzeugen vorkommen, wenn z.B. räumliche Separierungen und höhere fachliche Qualifikationen erforderlich sind. Insbesondere in diesen Fällen ist möglichst schnell ein sicherer Zustand herzustellen, indem die HV-Batterie beurteilt und zweckmäßige Folgemaßnahmen eingeleitet werden. Das Schadengeschehen der Allianz
offenbart aber, dass diese Fälle vergleichsweise selten sind. Dennoch sind gerade hier die Prozesse der Hersteller höchst relevant, da mit heutiger Erfahrung immer noch gelegentlich die Einschätzung des Werkes und dessen Mitwirken bei der Handhabung schwer beschädigter Batterien erforderlich sein können. Für die Werkstatt ist es deshalb wichtig, die entsprechenden Kommunikationswege zu kennen und zu nutzen.
Lesen Sie mehr über die Anforderungen an die Betriebsabläufe bei der Reparatur von E-Fahrzeugen in der November/Dezember Ausgabe von FML.